Ramshackle Day Parade
Ein Tag in Bochum und die Ewigkeit nach Joe Strummer.
Die Filme von Julian Schnabel haben einen besonderen Platz in meinem Herzen. Before Night Falls, die Lebensgeschichte des kubanischen Poeten Reinaldo Arenas, nenne ich immer als Antwort auf meinen Lieblingsfilm und bisher ist mir auch noch nichts Besseres eingefallen. Schnabel ist selbst Maler, da wundert es nicht, dass sich auch sein erster Film 1996 mit Leben und Werk des Kollegen Jean-Michel Basquiat beschäftigte. Sein jüngster Film behandelte das Werk Van Goghs (Willem Dafoe!). Schnabel versucht in seinen Regieprojekten Kunst und Künstler in das Medium Film zu übertragen.
Einer seiner weniger bekannten Filme mit dem Titel Schmetterling und Taucherglocke aus dem Jahr 2007 erzählt die Geschichte von Jean-Dominique Bauby, dem Chefredakteur der französischen Elle. Nach dessen gleichnamigen Memoiren beginnt der Film mit einem Schlaganfall, der dafür sorgt, dass Bauby nur noch sein linkes Augenlid bewegen kann, die Ärzte sprechen vom “Locked-In-Syndrom”, er ist geistig noch voll auf der Höhe, nur körperlich fast vollständig gelähmt. Zuerst verzweifelt der Lebemann an seinem neuen Gefängnis, doch gemeinsam mit seinen Physiotherapeutinnen schöpft er neuen Lebensmut und schafft es, Dank einer modernen Kommunikationsmethode, seine Memoiren zu Papier zu bringen und von seinem Leben und seiner Krankheit zu berichten.
Der Film endet mit Aufnahmen von einstürzenden Gletschern, untermalt von Joe Strummer’s Song Ramshackle Day Parade. The Clash waren mir damals schon ein Begriff und doch war es dieser Film, der mich wirklich in meine Joe Strummer Phase geschubst hat mit 25, Streetcore mit den Mescaleros und dann erst die Clash-Alben. Deshalb muss ich bei Joe Strummer auch unweigerlich an den Film denken und das Leben von Bauby. So wie heute morgen in Bochum, als ich vor seinem Ruhrpott-Murial stand. Strummer starb kurze Zeit nachdem er den Song aufgenommen hatte und auch Bauby starb zehn Tage nach der Veröffentlichung seiner Autobiografie.
Wann es vorbeigeht, weiß niemand vorherzusehen. Deshalb teile ich meine Welt auch weiterhin mit Euch so oft es mir möglich ist. Wer weiß für wen meine Taucherglocke ein Schmetterling ist. So wie jemand Joe Strummer an eine Ruhrpottwand malt, ohne zu wissen, dass Jahre später ein anderer jemand mit Tränen in den Augen davorsteht, an einem Montagmorgen und sich Ramshackle Day Parade anmacht und den ganzen Tag über Mut und Vergänglichkeit nachdenkt.
„Why Bother? Because right now, there is someone out there with a wound in the exact shape of your words.“
UBU ROI
Das Antiquariat “Ubu” von Wolfgang Jöst in Bochum.
Meine Freundin hat mir vor einigen Wochen ihr Lieblingsantiquariat in Bochum mit dem Namen Ubu gezeigt. Ubu steht dabei nicht für Universitätsbuchhandlung, sondern ist eine Anspielung auf Ubu Rois, König Ubu, die Ikone der Pataphysik, was mir den linken Kulturort direkt sympathisch machte. Wolfgang Jöst führt den kleinen Laden voller Bücherstapel seit beinahe 40 Jahren. Alles fing damit an, dass er das Geld, das er als Junge von seinem Vater fürs Autowaschen erhielt, umgehend in Taschenbücher umtauschte und jetzt sitzt er in der Bochumer Universitätsstraße auf seiner Sammlung von über 100Tsd. Büchern.
Als ich ihn heute fotografiert habe, sprachen wir über das Werk von Adelheid Duvanel, das er tatsächlich noch nicht kannte. Schnell verschwand er in seiner kleinen Ecke an seinem Computer und fing an zu recherchieren, skandierte ihre Lebensdaten durch den ganzen Laden und fischte dann zielgenau einen Sammelband Schweizer Kurzgeschichten der Nachkriegszeit aus einem seiner Stapel und begann die darin enthaltene Duvanel-Geschichte “Schweigen” gemeinsam mit mir laut zu lesen und diese besondere Prosa meiner Lieblingsautorin des letzten Jahres wertzuschätzen. Besucht Wolfgang unbedingt, solltet Ihr einmal in Bochum sein.
Ein gutes Café an der Place St. Michel
Einige Postkarten aus Paris.
Mit Paris verbinden mich viele Momente, die sehr prägend waren. Mit 21 habe ich hier bereits bedeutungsschwanger mein Notizbuch durch die Straßen getragen. Ein paar Jahre später wurde ich von der französischen Polizei am Grab von Jim Morrison vom Friedhof Pere Lachaise abgeführt. Alkohol, laute Musik, Nacktheit, Malerei und grobe Recherchen zu den Eigenheiten des französischen Bierbrauens spielten dabei eine Rolle. Weitere Jahre vergingen und ich war in der Innenstadt während der Anschläge vom Bataclan, nur ein paar hundert Meter entfernt von den Schüssen auf die Cafés. Danach blieb ich der Stadt lange fern.
Die Tage in Paris waren mein erster wirklicher Urlaub seit Jahren. Das Handy blieb meistens aus, wurde nur zum Senden angeschaltet, nicht zum Empfang. Auch die Kamera hielt ich nur sporadisch in der Hand. Es sind trotzdem ein paar Schnappschüsse entstanden, die ich hier gerne mit Euch teilen möchte.




























































nada y pues nada
In der Nacht zum Freitag konnte ich nicht schlafen und habe mich träge vor das Mikrofon gehockt. Ich habe keine Valium genommen und mein Sprachzentrum ist bereits seit Monaten so angegriffen! Bitte Verzeiht.
Eine Folge über verlorene Generationen, toxische Paare der Weltliteratur und die Urfassung von Ernest Hemingways "Paris ein fest fürs Leben".
In der Nacht zum Freitag konnte ich nicht schlafen und habe mich träge vor das Mikrofon gehockt. Ich habe keine Valium genommen und mein Sprachzentrum ist bereits seit Monaten so angegriffen! Bitte Verzeiht.
Ein Bewohner von Mlejnas und Tlön
Trank Bier und las in Borges Geschichte der Nacht, „der Schädelknochen, das geheime Herz“, und jetzt, ein paar Stunden später, die roten Tintenflecken wie Blut auf den weißen Bettlaken.
Mehr Rausgerissenes aus meinem Notizbuch, more to come.
20. Januar, Weimar | Briefentwurf für den Newsletter
Seit Tagen der Versuch, ein paar Worte für diesen Brief aus meinem Notizbuch zu kratzen. In meinem Tagebuch nehme ich zu viele Rollen an, fokussiere Tagesgefühle oder kompensiere sie, steige in unterschiedliche Varianten meines Ichs, Kostüme, Masken, die als solche wirken. Sie spannen und meine Augen tränen. Manchmal wie bei Gantenbein, genauso schlecht mindestens. Manchmal fällt mir die grüne Tinte an meinen Hemdsärmeln auf, die Tinte an den Fingerkuppen, die dicken getrockneten Tropfen auf dem Schreibtischholz. Ich habe hier eine Art Geheimschrift begonnen, die niemand entziffern kann, meist nicht mal ich. Beim Notieren fällt es mir nicht auf. Ich überspringe Buchstaben, verziehe drei davon zu einem, tausche sie willkürlich aus. Als ich durch die ersten fünfzig Seiten geblättert habe, die ich seit Dezember hier reinschreibe, um ein paar Absätze für diesen Brief zu finden, musste ich feststellen, dass fast die Hälfte der Seiten kaum lesbar ist. Vor allem die nächtlichen, im Affekt entstandenen Notate, es könnten genausogut Zeichnungen sein. Die Lücken meiner Erinnerung haben sich auf mein ohnehin abartiges Schriftbild übertragen. Die einzig lesbaren Teile dieses Buchs zeichnen zeichnen ein fragwürdiges Bild meines Blickes auf mich selbst. Ich war immer schon ein Zweifelnder, manchmal glücklicherweise nicht sehr versiert. Das Drehen um mich selbst ekelt mich an, selbst wenn ich das mitdenke beim Schreiben und mir trotzdem nicht helfen kann, mein Narzissmus abides. Seit Jahren lasse ich Euch diese Runden um mich herum mittanzen, es ist also wichtig für mich, Adressaten zu haben, sonst taugt mir das alles hier nicht. Immer drücken Sie einem das Ideal ins Gesicht, man müsse doch zu allererst für sich selbst schreiben, doch ohne Zuschauer ist mein Notizbuch ein Massaker. Grüne Attentate auf mich selbst hinter verschlossenen Türen. Also will ich wieder zu meinem alten Rhythmus zurück und alle paar Tage einige Absätze aus diesem Buch für meinen Blog verwerten oder diesen Newsletter. Ich wollte Texte veröffentlichen seit ich ein Kind war, ob gerechtfertig oder nicht, dem habe ich nie Bedeutung beigemessen für lange Zeit, ich hatte den Drang, ein wie auch immer geartetes Publikum zu finden, sei es auch imaginär… (abgebrochen)
21. Januar, Weimar
Rede ständig von Ewigkeit, jeden Gedanken darauf anlegend, doch das Handeln…
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Arno Geiger, Das glückliche Geheimnis: „Die Fähigkeit, zu warten, wird über Zeit zu einer Schwäche.“
22. Januar, Weimar | Morgen
Und die Vorhänge weinen im Wind und die Bücherregale stehen müde ihr Holz und sehen wehmütig den Schuhen nach, die ihr Leben jeden Tag neu auftragen.
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Nietzsche: „mohnblumige Tugenden“
23. Januar, Weimar
Aus den Notizen Tranströmers: „Ich habe so kärglich an euch geschrieben. Doch was ich nicht schreiben konnte, schwoll und schwoll an wie ein altmodisches Luftschiff und glitt schließlich durch den Nachthimmel davon.“ - ausgehend von diesem Zitat, würde ich gerne einen Brief an Michael Krüger schreiben und ein paar meiner Gedichte beilegen. Ich weiß schon jetzt, dass ich es nicht machen werde.
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Gedicht für Frank, „Die Pampelmuse und Ich“, Gedichte, die nur für eine Person bestimmt sind (Padgett), auch: Gedichtreihe mit dem Titel „Warum sie weinten“.
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Wider die Kachelschreiber
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Nach dem Rhythmus geklopft und ihn nicht gefunden. Lebe seit Tagen bei den Dichtern. Kaum Maske, nur Lügen an die Welt.
23. Januar, Weimar | Abend
Varianten des Bleistiftgedichts ohne Ergebnis. Immer wieder Rückkehr zur ersten Schreibmaschinenversion von vor ein paar Tagen. Ich kann nicht allen ernstes einen wächsernen Himmel stehenlassen, nicht nachdem ich Tranströmers halbfertigen Himmel sah. Wenigstens weniger Angst vor der weißen Seite. Aktueller Stand, vielleicht lasse ich es so:
In der Nacht wacht er auf und fühlt den Schnee
vor den schwarzen Fenstern, folgt dem Silberfisch
am Türrahmen in das blaue Zimmer, eine Verfolgung,
und dort soll er prüfen, prüfen und messen und wägen,
- vertrauen ihm die Bleistifte noch?
In den Vororten schlagen die Wellen an die Kennzeichen
und doch hat es vorläufig erst recht einen neuen Morgen,
die Bleistifte beratschlagen einen Nachmittagsaufstand und es
singt ein wächserner Himmel in ein Streichholz ohne Kopf
- hier endet dein Verstand!
Die halbe Summe der Erinnerung ist Wasserwunde und
er starrt voll der Hoffnung auf seine Lederschuhe und die
dreckigen Rücken der antiquarischen Jahreszeiten wie sie
das Vorrücken des Bleibataillons auf die Bekenntnisse decken
- ist es Landnahme?
Die Vorhänge sind Mäntel im Wind, die Bücherregale
krümmen ihr Holz den Jahren entgegen wie die
Tinte an den Kuppen seiner Hemdsärmel und das
haltlose Dunkel der Wälder seines Aufbruchs sagt
- deine Kirche ist ein Stück Papier!
2. Februar, Weimar
Brinkmann, Westwärts 1+2: „die Preise für das Nirwana sind gestiegen“
—
In der Nacht wache ich auf und fühle den Schnee vor den schwarzen Fenstern / Ein Silberfisch, der mich verführt / Ein Silberfisch im Türrahmen.
5. Februar, Weimar | Die Nacht auf dem Rücken
Zurück zur Phantastik. Eskapismus eskalieren lassen. Ich bin ein Bewohner von Mlejnas und Tlön. Die Erinnerung an mich wird nur eine Nacht überdauern. Cortazar, Borges. Heute ein Borges-Morgen, mehrere Ideen für den Roman, vor allem Zeittheorien. Meine Varianten der Zeitreise als solipsistischer Narzissmusversuch in Absätzen. Erinnerungsmodelle in der bereisten Vergangenheit. Vorsatzbrief im Stile Borges’ „An Leopoldo Lugones“, an Lothar den Antiquar.
6. Februar
Wiederlesen von Revenge of the Lawn. Das Vertrauen der Bleistifte war auch in Brautigans Tonlage geschrieben und da habe ich es nicht bemerkt, mich sogar abgestoßen gefühlt davon. Ich darf diese leichte Tonlage auch wieder ausfüllen.
6. Februar, später am Abend
Als es dunkel wurde, bin ich durch die Straßen von Weimar gelaufen, bis mir die Finger abfroren. Ich fand einen Platz an der Theke, die Kneipe bis auf den letzten Stuhl gefüllt. Trank Bier und las in Borges Geschichte der Nacht, „der Schädelknochen, das geheime Herz“, und jetzt, ein paar Stunden später, die roten Tintenflecken wie Blut auf den weißen Bettlaken.
The Flailing Notebook
Vor ein paar Tagen kaufte ich einen Füllfederhalter und dieses Notizbuch. Es gab keinen Grund. Vielleicht kann ich mich mit dieser Feder wieder am Leben festkrallen. Und meine Hände mit grüner Tinte beflecken.
Mehr Rausgerissenes aus meinem Notizbuch, more to come.
14. November
Vor ein paar Tagen kaufte ich einen Füllfederhalter und dieses Notizbuch. Es gab keinen Grund. Vielleicht kann ich mich mit dieser Feder wieder am Leben festkrallen. Und meine Hände mit grüner Tinte beflecken. So grün wie der Beton im Vorratskeller meiner Großeltern. Die zertretenen Stachelbeeren auf dem Boden vor dem Holzverschlag mit den feuchten Kartoffeln, die mein Großvater aus großen gelben Netzen dort hineinkippt. Ich schmecke die Milch meines Hirns auf der Zunge und sie schmeckt dort noch nicht blutig. Der graue Rockschoß meiner Großmutter. Ihr totes weißes Haar. Die Fäustlinge und die Kieselsteine. Das völlige Ausdemlebensein.
16. November
Manchmal stehe ich im Supermarkt zwischen den Kühlregalen und höre Coltrane. Dabei beobachte ich die Effizienten und die eine flackernde Leuchte hinter dem Seelachsfilet.
17. November, The Flailing Notebook
Alles wiegt ganz leicht in den Ästen, in den Gassen, durch die ich wandere, mit dem Loch in der Sohle meines linken Stiefels, diesem Notizbuch noch in der Manteltasche und dem Geist der Scrience Fiction in der Hand. Seit Wochen plane ich, ein Tagebuch der Kränkungen zu führen. Doch es taugt nur zu diesem Zeilengeschinde, da mir der Anstand fehlt. Der Schriftsteller Adam Levin schrieb einmal in der Paris Review, er nutze Notizbücher nur „when I’m traveling or when I’m flailing“. Er kommentierte damit ein paar Seiten seines Notizbuchs, die in der Review abgedruckt wurden und schrieb weiter: „I sure as hell wasn’t traveling when I wrote this…“ Flailing - wild herumfuchteln, auf etwas eindreschen, in seinem Fall vorzugsweise auf sich selbst - es trifft wohl auch auf die meisten Seiten zu, die ich hier fülle. The Flailing Notebook. That’s what this is.
19. November
Erneute Lektüre der Memoiren von Gabriel Garcia Marquez, beinahe zwanzig Jahre nach dem ersten Mal. Erinnerungen an den Winter 2004 oder 2005, die letzten Seiten des Buches kurz nach Weihnachten. Der Rotwein und mein schäbiges Manuskript unter dem Arm. Ich trug es stolz herum wie Marquez seinen Laubsturm. Die gelben Seiten in der schwarzen Kartonmappe. Der Umschlag auf dem Cafétisch in Frankfurt. Böll in den Hinterhöfen und das ganze Weinen, das ich damals gelassen habe. Die automatischen Absagen des Literaturinstituts jeden Winter und der Instantkaffee auf dem Fensterbrett.
23. November
Am diesseitigen Ende der Nacht rettete er sich als Schädel in den Morgen. Im Träumen noch Skelett, schabte er Knochen um Knochen vom Rumpf und starb in der Dämmerung.
27. November
Als ich vier war brachte mir meine Großmutter das Lesen bei. In einem Winter wie diesem. Die ins Dunkel gefallene Sonne vor dem Fenster. Die beschlagene Scheibe und der Geruch von Mandarinenschalen auf den Heizkörpern. Wir auf dem Sofa, ich auf dem gespannten Wollrock in ihrem grauen Schoß, den Rücken an ihrer Brust. Spielerisch schnippte sie mir mit ihren langen, harten Fingernägeln imaginäre Läuse vom Kopf - wir gaben ihnen Namen, bevor sie sterben mussten. Sie hieß mich vorlesen, was sie auf einem quadratischen Werbenotizblock für mich notierte. Erst Buchstaben, dann ganze Folgen von ihnen. Wald, Laub, Sand, Baum. Holz und Liebe. Ich las ihr vor und sie knipste unsere erfundenen Läuse von meinem Haar in die trockene Heizungsluft. Ihre von der Arbeit des Tages schwarz marmorierten Handflächen und mein Lokomotivführergesicht, wenn sie mir die Tränen mit ihren erdigen Fingern von der Wange wischte. Mandarinen und Nelken und der Bus, der zweimal die Stunde am Fenster vorbeikam. Wald und Sand und Holz und…
31. November
Es ist alles viel. Ein neuer Dezember und das Meiste ist abgefallen. Mein Leben häutet sich und all die Mäntel, die mir die Jahrzehnte überwarfen, werden löchrig und zerfasern im Wind der Winter. Draußen entfernt sich der Wald mit wulstigen Paraden von den Tränensommern. Zurück, zurück zu einer einzelnen Lampe am Fenster, zurückfinden zu den Klängen, die mit mir vibrieren. Die kleine Kirche dieser Seiten ist was mich noch am Leben hält.
14. Dezember
Keine Seiten.
4. Januar
Die Tage sind merkwürdig still, kein rechter Winter mehr, kein Regen, nur die Tinte an den Fingern und den Schläfen. Noch immer keine Tür. Die Milch bleibt stattlich. Zurück zu den einfachen Begebenheiten von Brasch. Die einfachen Sätze entfliehen mir weiterhin. Einfach. Falsch. Simpel vielleicht. Simple Sätze, simple Songs. Ein wiederkehrender Ton, eine sich wiederholende Note, ein fotografischer Schatten, eigentlich eine Silhouette vor einem leuchtenden Fenster. Stenografiertes Schwarz hinter dem Vorhang. Ein langer Gang vor die Hunde, lediglich in Bildern, Strophen, Zeilen und Versen, alles lächerlich aufgewärmt vor Zuschauern, die dir nach dem Leben trachten. Abgebrochene Typen, getaucht in Maschinenöl und haltbar gemacht durch Sätze, die sich nicht ohne Drohung hervorwagen. Meine Absätze sehen aus wie pure Angst. Panik in Lettern. Ein Schwanken, ein Zittern, ein Lehnen und Entlehnen, es ist scheußlich. Ich habe mit meinem Notizbuch auf dem Rücksitz eines Motorrads den lateinamerikanischen Kontinent bereist. War schiffbrüchig mit Langston Hughes. Stempelte mit Kafka den Feierabend. Ich wage es an die Luft. Es fehlt an Nichts. Ein großes Problem, vor allem in den Gedichten - das fehlende Nichts.
7. Januar
Ein enger Waldpfad ohne Lichtungen. Generell das warme Dunkel der Wälder meiner Kindheit.
Gelesen bei Geiger: „Wir waren auf eine fast unzulässige Weise glücklich.“
Bildschirm
Doch es reicht nur für geschundene Zeilen. Bevor sie mich abholen, die küssenden Fährleute in ihren Mänteln. Sie warten. Das Ende einer Erzählung innerhalb eines Traumes von gelbgrünem Blech. Das Unerkannte entspricht mir ja im Grunde. Will jetzt schwimmen. Im Salz. Im Sand. An der Seite eines verstreuten Kapitäns. Die Finger werden taub. Und irgendwie traurig. Exegese der Verse eines Schirmes aus Bildern.
Als es dunkel wird laufe ich durch die Straßen und frier an den Fingern. Unter der Heiterkeit der Planeten und der Jahre die mir ihretwegen nichts verzeihen. Halte mich fest am Saum zwischen den Herden der Vergangenheit und der Feuer. Die mich zurück ins Haus treiben. Tanze mit der Bitterkeit der Fotografien an der Küchenwand. Was soll man sonst bewirken. Außerhalb der Träume von grimmen Männern. Und dem lodernden Gesangsheft zwischen den Brautiganromanen. Erinnerungen poetischer Modelle solipsistischer Zeitreisen. Die Vergangenheit überholt die Skizzen der Erwartung. Und der Boden schwimmt in den labyrinthischen Wassern der Villa Mimosa. Ich bleibe hier. Am Küchentisch. Bis sie mich holen mit ihren Mänteln und der Musik aus den Kellern. Die Tür bleibt verschlossen während ich die Banner der Nacht verschleudere. Und das Fleisch im Spiegel mich zum Erdkern zieht. Dann dein Vers wie ein Tritt auf den Mond durch ein Trommelfell. Der Atem verzögert den Einsatz. Und ich starre in die Augen. Und ich starre in die Fenster. Und ich starre in die Wärme. Der verpassten Vergangenheiten. Mein Urteil ist aus Kupfer und mein Schwur die lichtlose Nacht. Habe den großen Wagen aus Übermut neu getauft. Habe dieses Manuskript den Ratten gewidmet aus Mitleid oder mangelnden Alternativen. Meine Angst ist die Vereidigung der Schatten. Und wieder trittst du in den Saum meines Trommelfels. Bedächtigen Schrittes als wärest du der Mond. Skandierst deine Verse. Lieblich und fatal. Deine Nächte verheißen den Sieg des Zugschreibers. Tilgung des Horizonts. Die kalten Schwerter in den Gärten. Den Spiegel, das Vielleicht des Niemands. Deine Pfeile ein Schiff, das kentern will. Und die trommeln beginnen und der Riss ist Kafkas liebe Wehmut zum Feuer. Die Artefakte sind nachgelassen. Man sieht es an den Gesichtern der Abgewandten. Nach schmutzigen Schlachten beten die Nachbarn die Agonie des Staubes. Und die Verse verstecken sich in den Tüchern. Auf der Leine im Garten meiner Großmutter. Sehe durch sie hindurch. Sehe alles unter Nebel. Sehe Palmen im Rauch. Die Anker am Strand. Den armen Tod. Ein feiges Intervall. Die Titelseiten im Abfall unter Kartoffelschalen. Deine nassen Haare ein Wespennest. Monde, Ziffern, Fiebercollagen wenn - deine Augen den Bildschirm aufspannen über meinen Tränen. Die Kerzen in den Kapellen. Die Krawatte in der Jackentasche. Die blutigen Tintenflecken auf dem Bettlaken. Die verrotzten Socken auf der Autobahn. Die verlegten Platten im Wohnzimmer. Eine Galerie aus Halbrahmen die auf keine Zukunft weisen. Der Magier stempelt aus und hadert mit Bedeutungslosigkeit. Ich wundere mich, ob ich auch ein Engel sein könnte. Doch es reicht nur für geschundene Zeilen. Bevor sie mich abholen, die küssenden Fährleute in ihren Mänteln. Sie warten. Das Ende einer Erzählung innerhalb eines Traumes von gelbgrünem Blech. Das Unerkannte entspricht mir ja im Grunde. Will jetzt schwimmen. Im Salz. Im Sand. An der Seite eines verstreuten Kapitäns. Die Finger werden taub. Und irgendwie traurig. Exegese der Verse eines Schirmes aus Bildern.
Gedicht
Die Vorhänge sind Mäntel im Wind, die Bücherregale krümmen ihr Holz den Jahren entgegen wie die Tinte an den Kuppen seiner Hemdsärmel
In der Nacht wacht er auf und fühlt den Schnee
vor den schwarzen Fenstern, folgt dem Silberfisch
am Türrahmen in das blaue Zimmer, eine Verfolgung,
und dort soll er prüfen, prüfen und messen und wägen,
- vertrauen ihm die Bleistifte noch?
In den Vororten schlagen die Wellen an die Kennzeichen
und doch hat es vorläufig erst recht einen neuen Morgen,
die Bleistifte beratschlagen einen Nachmittagsaufstand und es
singt ein wächserner Himmel in ein Streichholz ohne Kopf
- hier endet dein Verstand!
Die halbe Summe der Erinnerung ist Wasserwunde und
er starrt voll der Hoffnung auf seine Lederschuhe und die
dreckigen Rücken der antiquarischen Jahreszeiten wie sie
das Vorrücken des Bleibataillons auf die Bekenntnisse decken
- ist es Landnahme?
Die Vorhänge sind Mäntel im Wind, die Bücherregale
krümmen ihr Holz den Jahren entgegen wie die
Tinte an den Kuppen seiner Hemdsärmel und das
haltlose Dunkel der Wälder seines Aufbruchs sagt
- deine Kirche ist ein Stück Papier!
STAMBOUL BLUES
Zwei melancholische Spaziergänge durch Istanbul
11. APRIL 2020, 10:12 UHR
Der osmanische Luftfahrtpionier Hezarfen Ahmet Çelebi warf sich vor vierhundert Jahren mit selbstgebauten Holzflügeln (inspiriert von Leonardo da Vinci) vom Galata Turm in Istanbul und gleitete drei Kilometer über den Bosporus bis auf die asiatische Seite zum Dogancılar-Platz. Der Galata Birdman. Vom Sultan Murad IV. wurde er anschließend mit Gold und später mit Verbannung nach Algerien belohnt. Er starb mit 31. Vergangenen Dezember beschloss ich auf dem Dach des Galata Turms, dass ich irgendwann in den nächsten Jahren für ein paar Monate in Istanbul leben will, um zu schreiben. Im Fernsehen heute Bilder vor türkischen Supermärkten, Panik und Schlägereien, weil eine zweitägige Ausgangssperre zwei Stunden vor Ladenschluss über die Radiowellen ging. Die Bilder gefangen in einer Art Nachzeitigkeit. Gerade möchte ich nirgendwo sein. Auch nicht hier.


















































































Folge der imaginären Lösungen
Gespräche mit Sophie über gemeinsames Lesen, die Briefe von Fjodor & Anna Dostojewskaja, eine Psychoanalytikerin, die Marina Abramović trifft, Patrick Modiano und viel René Daumal, @zero_sharp und die Pataphysik.
Gespräche mit Sophie über gemeinsames Lesen, die Briefe von Fjodor & Anna Dostojewskaja, eine Psychoanalytikerin, die Marina Abramović trifft, Patrick Modiano und viel René Daumal, @zero_sharp und die Pataphysik.
Fjodor & Anna Dostojewskaja – Ein Leben in Briefen
Peter Handke – Die Niemandsbucht, Zwiegespräch
Patrick Modiano – Unterwegs nach Chevreuse
Psychoanalytikerin trifft Marina Abramović
René Daumal – Mugle, Der Berg Analog
Klaus Ferentschik – Pataphysik
Alfred Kubin – Die andere Seite
fucking nihilists
Es sind wieder ein paar Monate vergangen seit der letzten Folge, Monate die eigentlich Jahre füllen könnten. Diese Folge wurde in Weimar aufgenommen und ich hatte seit langem mal wieder einen Gast. Mit Sophie spreche ich über die Stadt Weimar, ein paar Bücher der vergangenen Monate und einiges anderes Belangloses.
Es sind wieder ein paar Monate vergangen seit der letzten Folge, Monate die eigentlich Jahre füllen könnten. Diese Folge wurde in Weimar aufgenommen und ich hatte seit langem mal wieder einen Gast. Mit Sophie spreche ich über die Stadt Weimar, ein paar Bücher der vergangenen Monate und einiges anderes Belangloses.
Die geile Liste:
Homer - Ilias
Virginia Woolf - Die Wellen
Arthur Schnitzler - Traumnovelle
Stefan Zweig - Schachnovelle
Jack Kerouac - On the Road
Interview mit Marina Abramovic
Thomas Brasch - Vor den Vätern sterben die Söhne
Hannah Arendt (nichts Bestimmtes)
Die treue deiner laster
Noch vor Wochen die Nächte auf dem Zeltplatz, die mondbeleuchteten Spaziergänge zu den Waschstellen mit dem sich ausbreitenden Netz unter der Laterne, zulaufend dem festrunden Spinnenknopf in seiner Mitte wie das Straßennetz in Paris oder Barcelona und der Minzgeschmack beim Betrachten der Sternbilder über den Baumwipfeln, das feuchte Handtuch über der Schulter und das zitternde Surren des Colaautomaten…
Die Typen kleben aneinander vom Blütenstaub, der durchs Fenster hineinweht seit dem Morgen. Farblose Sonne hinter und durch die Vorhänge, die wärmt und vergisst. Niemand hat es mir gleichgetan, niemand hat den Atem angehalten, als ich es musste. Und es war recht. Unzählige Schrauben an dieser kleinen schweizer Maschine vor mir, die sich mit einem einfachen Schraubenzieher wieder festzurren ließen. Die sich verhaspelnden Buchstaben wieder in Ordnung brächten, die festgeklemmten Spinnenbeine wieder entspannten. Noch vor Wochen die Nächte auf dem Zeltplatz, die mondbeleuchteten Spaziergänge zu den Waschstellen mit dem sich ausbreitenden Netz unter der Laterne, zulaufend dem festrunden Spinnenknopf in seiner Mitte wie das Straßennetz in Paris oder Barcelona und der Minzgeschmack beim Betrachten der Sternbilder über den Baumwipfeln, das feuchte Handtuch über der Schulter und das zitternde Surren des Colaautomaten an dem kleinen Rezeptionshäuschen, das sie in einen alten Straßenbahnwaggon gebaut haben und in dem eine gelbe Lampe die ganze Nacht über angezündet bleibt.
Jetzt und endlich, die losen Schrauben dieses Hermes Babys, die grünen Tasten, der silberne Lack und die wiederbelebten Bücherregale, die Gedichte von Pasolini, die Zettel Arno Schmidts, Hunters Briefe endlich in Griffnähe. Es ist Sonntag und uns ist der Kaffee ausgegangen, aber etwas Brot ist noch da und die gesammelten Werke von Salvador Espriu - Ich schlage eine Seite auf und lese von der Erschöpfung des Traumwanderers, dem Abendrauschen der Weinblätter und fühle alles nicht mehr so sehr, nachdem ich mich den Gefühlen jetzt für beinahe ein ganzes Jahr lehnstreu ausgeliefert habe. Der Nebelwinter, vergangen und schon zur zerstückelten Erinnerung an ein vergangenes Leben geschrumpft. Die warmen Vorhänge des Jetzt, die wieder die meinen sind, zumindest mehr als zu sein scheinen.
Ich habe meinen Rückzug vergessen. Ich habe Briefe aus Nachtzügen erhalten. Ich habe mit dem Wohlwollen verhandelt. Ich habe kein Foto geschossen. Ich habe Buchseiten angelächelt. Ein paar lächelten zurück. Mir wurden keine Versprechen gemacht. Ohnmacht, Tinte und Schnee. Und der letzte Löffel Kaffeepulver an einem warmen Sonntag im Juli, zwischen Friedhöfen und taubstummen Platzanweisern an jeder Kreuzung. Die bestimmte Angst vor Sturzfluten. Der orangene Block, der auf dem Holztisch neben mir liegt, und die Aufschrift trägt: "LIFE - TYPEWRITING PAPER"
Ich habe Löcher in diese Seite getippt. Wenn ich sie gleich aus der Walze ziehe und gegen die Vorhänge halte, wird durch diese Löcher wohl das Licht eindringen. Ganz so wie die Worte, die jetzt behäbig aus dem Schweigen erscheinen. Doch oh, diese grünen Tasten, so weich so wunderbar, und kalt. Absatz nach Absatz vermögen es die Typen dir das schwache Pochen zurück in die tauben Venen zu pressen und du spürst wieder die Verbindungen über die Jahrzehnte, die Treue deiner Laster, und letztlich - der Ausgang des Labyrinths. (bestimmt)
Splitter
Du sagtest, du wollest
in meine Iris steigen,
mir den Splitter klauen,
das Blau eimerweise abtragen
und damit das Haus anstreichen
in dem du schreiben willst
Du sagtest, du wollest
in meine Iris steigen,
mir den Splitter klauen,
das Blau eimerweise abtragen
und damit das Haus anstreichen
in dem du schreiben willst
Zapfen für Zapfen
wollest du das blasse
Blau herausbrechen
und mein Azur ernten
Bis mir die Welt grau
durch die Pillen sticht
und wir zu zweit
in den Blaudrucken
ersaufen
Dass du Diebin bist
gefiel mir als Erstes
an dir.
Sehr einfache Träume
Ich träume daß ich auf einer Lichtung warte
Ich träume daß ich Blumen esse wie Baudelaire
Ich träume daß ich durch ein Zuckerfeld wandere
Ich träume von einer Kinoreklame
für Nicanor Parra
Ich träume von einem Fenster
Ich träume daß mein Verstand sich auflöst
Ich träume daß ich ein Buch trockne
Ich träume von Bibliotheken ohne Regale
Ich träume daß ich ein Schaffner mit einem Notizbuch bin
Ich träume daß ich auf einer Lichtung warte
Ich träume daß ich Blumen esse nach Baudelaire
Ich träume daß ich durch ein Zuckerfeld wandere
Ich träume von einer Kinoreklame
Ich träume von einem krebskranken Antiquar
Ich träume daß ich ein Farbband einspanne
Ich träume daß ich meinen Hut wiederfinde
Ich träume daß ich eine Urne trage
Ich träume von den tausend unsichtbaren Zeichen
Ich träume von einem Seil
Ich träume daß ich mit Vögeln tanze
Ich träume daß ich Bande knüpfe
Ich träume von Zweigs Wohnung in New York
Ich träume daß ich ein totes Manuskript mit mir schleppe
Ich träume daß sie mich zum Bleiben verurteilen
Ich träume von Bolaños Atlantismoment
Ich träume daß ich ein Floß bin
Außerdem träume ich daß mir die Träume ausfallen.
Sieben abgepackte Herzen (schlagend)
verschmolzene Trophäen, auch die stehenden Haare deiner Politik der Wahrheit, geschneidert auf einer Endstufe im Jahr 1987, die Wasseraugen im Wind, niemals wieder, schwörtest du
Der Prozess der abgezählten Trauer, die ach so nassgeweinten Flammen - wider die Folgsamkeit deines abgebundenen Herzens - kannst weder hier, kannst noch dort, die marmorierten Handrücken der Messingdynastien und das Ackerland der weitenverdrehten Erinnerung - kannst weder geben, kannst noch annehmen, was in deiner Weise vertraut bleibt - nicht sterben (Wappenspruch), wächst aufs Meer hinaus, und überhaupt getrocknetes Meer mit faltigen Bänken, süßer Bruder Untergang - verschmolzene Trophäen, auch die stehenden Haare deiner Politik der Wahrheit, geschneidert auf einer Endstufe im Jahr 1987, die Wasseraugen im Wind, niemals wieder, schwörtest du - zur Schleife gebundene Schwanenhälse, Tintenhände massieren Tagebuchrücken an der roten Seite deiner Kammerwände - Blut zieht auf, dicker, warmer Regen aus Kanülen, Adern wie morsche Zweige, darin flüssige Bilder aus Tränenharz - wenn Farben sich trennen, bleibt dein Blick am Himmel oder klatschst du in die Nacht? Führst die Interviews mit halb niedergeschlagenen Augen? Kochst immer noch mit Entsetzen? Zeichnest deinen Schiffsfriedhof mit Drahtseil in die Salzluft? Was bleibt von deinem prachtvollen Ozean? Darfst Sprünge in der Taucherglocke redlich mit Zucker abdichten? Endlich bleibt die Aufstellung: eine halbe Sichel aus Kupfer, ein Turm aus Elfenbein in der Brandung aus Scheiße, sieben abgepackte Herzen (schlagend), ein schwarzer Leinenanzug aus gelbem Kinderhaar, alle Gedichte in der linken Armbeuge, einige in der rechten, den Splitter Richtung Meer, die Zehen in den glatten Kristallen, ein Chor (der nicht erscheint, und wenn - zu spät), getippte Seiten an der Oberfläche, drei geschlossene Bibliotheken in Strandnähe, ein Berg Blumen ohne Blüten, ein Kardiologe (Neruda zitierend) und eine Kette aus einundzwanzig Papiertütenmenschen ohne Gesicht, die dich endlich unter Wasser geleitet. Dicker, warmer Regen über den Hügeln (rot). Got it?
Engel der Trübsal
Nachwehen des Winters. Ein Neuanfang. Der Kampf um Troja. Sam Rockwell in New York. Rayuelasprünge. Kerouac, wtf? Alles mit Dosenton, but better than nothing.
Nachwehen des Winters. Ein Neuanfang. Der Kampf um Troja. Sam Rockwell in New York. Rayuelasprünge. Kerouac, wtf? Alles mit Dosenton, but better than nothing.
The Swimming Poem
In Vorbereitung
weiterer Gedichte
entschwamm der Sommer
unseren Salzaugen
„In Vorbereitung
weiterer Gedichte
entschwamm der Sommer
unseren Salzaugen
schwappte der Wind
über den abwesenden
Herbst weinte
uns das Chlor
aus den Äpfeln
am vergifteten Grund
eines Winters
wurde beschlossen
möndisch betrunken
das Ende der Brandung
kippten Bergwellen
von Zucker in
die Wunden
verödeten die
Vergangenheit mit
dem Geschmack
des Regens und
der
Geburt
des Sommers
in unseren leeren
offenen Händen.“
Ja.
Welche farbe hat die wüste nachts?
Die Stufen zur Bühne sind aus altem Holz und erinnern mich an die roten Planken der Pilar, dem kleinen Fischerboot Hemingways auf Kuba, von dem ein Farbfoto über dem Schreibtisch meiner ersten Studentenwohnung hing.
3. April 2022, New York, Morgen
Die letzten drei Monate waren zu großen Teilen ein Untertauchen, eher leises Mitatmen im Schatten. Mein Körper nahm sich einige weiche Wochen. Im vergangenen Jahr gab es Veränderungen. Letztlich Müdigkeit. Manchmal saß ich an einem kleinen Holzschreibtisch in meiner Kölner Wohnung und versuchte meine Anwesenheit zu spüren. Doch oft fühlte ich mich nur den Räumen der Filme und Bücher zugehörig, die meine Bibliothek sind, der Gedankenort, der mir Heimat bedeutet. Mein Leben ist und wird ab sofort nicht mehr an Orte gebunden sein. Einen Großteil meiner Dinge habe ich hergegeben oder eingelagert. Ich binde mich an den Weg.
Kapitelweiten | 29. März 2022, Über dem atlantischen Ozean
Bei manchen Büchern
muss es zur Arbeit
des Lesens gehören
sie kapitelweit durch
die Straßen zu tragen
ihr Gewicht in Worte
schmerzhaft aufzuwiegen
sie sollten dauernd lasten
auf den Schultern sollten
den Unterschied lehren
zwischen Last und Hindernis
man sollte den Weg
der Iris über die Zeilen
in Schritten abwandern
die Absätze begehen und
jede Seite mit eitlem
Sprung verlassen.
29. März 2022, Notate aus “Mörderische Huren” von Roberto Bolaño
Im Flugzeug von Frankfurt zum JFK habe ich fast die komplette Kurzgeschichtensammlung “Mörderische Huren” von Bolaño gelesen. Eine kleine Reise in meine eigene Vergangenheit. Bolaño erzeugt mit wenigen Absätzen immer wieder das gleiche Gefühl bei mir, das ich so an seinen Büchern geliebt habe. Einige Abschnitte habe ich mir herausgeschrieben und eine kleine Auswahl davon will ich hier mit Euch teilen:
— Welche Farbe hat die Wüste nachts?, hatte ich mich vor Tagen im Motel gefragt. Es war eine rhetorische und dumme Frage, in die ich meine Zukunft mit einschloss, oder vielleicht nicht meine Zukunft, sondern meine Fähigkeit, den Schmerz zu ertragen, den ich empfand. (S. 28)
— Eines Morgens beim Frühstück fragte mich die Direktorin nach der Farbe meiner Augen. Sie sind so, weil ich wenig schlafe, sagte ich. (S. 27)
— Dann trat ich ans Fenster. Auf dem Parkplatz des Motels stand noch immer ihr Wagen. Ich öffnete die Tür und ein Windstoß aus der Wüste traf mich voll im Gesicht. Das Auto war leer. Ein Stück weiter weg, an der Straße, sah ich die Direktorin mit ein wenig erhobenen Armen, als spräche sie mit der Luft oder als rezitiere sie oder als wäre sie wieder ein kleines Mädchen, das Statue spielte. (S. 34)
— Er liest die surrealistischen Dichter und versteht kein Wort. Ein friedlicher, einsamer Mann an der Schwelle des Todes. Bilder, Wunden. Das ist alles, was er sieht. Und tatsächlich verlieren sich die Bilder nach und nach wie die untergehende Sonne, und nur die Wunden bleiben übrig. (S. 48)
— Brion Gysin war der Freund von Burroughs, der ihn auf die Idee der Cut-Ups brachte. (S. 78)
— Unausgezogen, einen Roman lesend, als wäre er in der Sprache eines fremden Planeten verfasst, schläft B ein. (S. 90)
— Das Band der Freundschaft entspann sich wie die Pest. (S. 97)
— Die unmögliche Landschaft und der unmögliche Körper. (S. 103)
— Im Rahmen des Möglichen bin ich ein normaler Mensch. (S. 107)
— …ich steuere das Motorrad mit sicherer Hand und drehe das Gas voll auf, die Gran Avenida ist um diese Zeit fast menschenleer, außer den Leuten, die aus dem Stadion kommen, und du hinter mir umfasst meine Taille. Ich spüre deinen Körper am Rücken, der sich anschmiegt wie eine Molluske am Fels, die Luft der Avenida ist um diese Zeit wirklich so kalt und geballt wie die Wellen, die auf die Molluske einstürmen, du schmiegst dich an mich, Max, mit der Selbstverständlichkeit dessen, der ahnt, dass das Meer nicht nur ein feindliches Element ist, sondern ein Zeittunnel, du umschlingst meine Taille wie zuvor das T-Shirt deinen Hals, aber die Conga tanzt jetzt die Luft, die wie ein Sturzbach in das von der Straße gebildete, gestrichelte Rohr einschießt, und du lachst oder sagst etwas, vielleicht hast du unter dem Mantel der Bäume, der die dahinziehenden Passanten beschirmt, irgendwelche Freunde entdeckt, vielleicht beleidigst du nur irgend welche Unbekannten, ach, Max, du sagst nicht tschüss, nicht hallo, nicht bis bald, du rufst Parolen, die älter sind als das Blut, aber sicher nicht älter als der Fels, an den du dich klammerst, glücklich, die Wellen zu spüren, die unterseeischen Strömungen der Nacht, und das sichere Gefühl, nicht von ihnen fortgerissen zu werden. (S. 116)
Blutbühne | 1. April 2022, Morgen
Dieser Tage entfallen mir die Träume schon beim Öffnen der Augen. Einen der wenigen, die geblieben sind, träumte ich gestern in meinem New Yorker Hotelzimmer: endlose Gänge in den Katakomben eines Theaters, rechts und links streifen mich halbgeschminkte Menschen in Unterwäsche oder schweren Stoffen. Alle sind mit sich beschäftigt, ich bin mit allen beschäftigt, sehe mich nur kurz in einem der Glühbirnenspiegel, untersetzt, eine braune Hose, Unterhemd, barfuss. Die schwach beleuchteten Gänge führen abwärts und gabeln sich, kreuzen sich, verlieren sich, enden in verschlossenen grünen Türen, so dass ich oft umkehren und neue Abzweigungen wählen muss. Die Menschen, die mir entgegenkommen, tun dies seltener, je tiefer ich mich in die Theatertunnel verlaufe.
An den Wänden hängen Fotos von alten Aufführungen, doch die Gesichter der Schauspieler wurden mit Bleistift überzeichnet, nur ihre Körper leuchten im Fresnellicht. Mit der Tiefe kommt die Stille und etwas später, leise und drohend, das Murmeln der Menschen im Zuschauerraum. Ich erreiche den Bühnenaufgang. Der Vorhang ist aus blauem Samt und redlich verschlossen. Das Rauschen auf den Rängen verstummt. Ich bin allein. Die Schauspieler, denen ich auf den Gängen begegnet bin, bleiben abwesend. Die Stufen zur Bühne sind aus altem Holz und erinnern mich an die roten Planken der Pilar, dem kleinen Fischerboot Hemingways auf Kuba, von dem ein Farbfoto über dem Schreibtisch meiner ersten Studentenwohnung hing.
Nach einiger Zeit wird mir bewusst, dass ich es bin, den man auf der Bühne erwartet. Ich steige die Holzstufen hinauf und schreite den Samtvorhang entlang, berühre mit der linken Hand den Stoff und halte an einer grünen Markierung, die jemand auf die Bühnenbretter geklebt hat. Ich stehe mit dem Gesicht in Richtung Zuschauer, die vielleicht hinter dem Vorhang warten. Ein Blick nach oben beweist mir, dass das Theater keine Decke hat, der Vorhang scheint bis in den Himmel zu reichen, auch ein Blick nach rechts und nach links offenbart die Endlosigkeit des blauen Stoffes. Alle Erwartung der Dinge hinter dem Vorhang verschwimmt zur Lethargie. Der Vorhang öffnet sich nicht. Ich versuche mit leisen Rufen jemanden hinter der Bühne zum Öffnen des Vorhangs zu gewinnen. Niemand antwortet. Die Zeit verrinnt und das Publikum bleibt stumm. Das Warten dehnt sich aus, breitet sich über meine Nacht aus und der Vorhang bleibt verschlossen. Er öffnet sich nicht. Dann wache ich auf.
Nachtzug vor die Hunde
Deine verschwenderischen Verse
halten uns den Himmel
unter Wasser
Eine Entscheidung:
Die warmen Zuckerstangen
die aus deiner Manteltasche tropfen oder
das Pfirsichblut das von deinen Stiefelsohlen
auf das Pflaster spritzt.
Zeigst mir die Kronen der Pflaumen
wie sie bar der Bilder pro Sekunde
übers Glas ziehen oder
meine Zukunft schreiben auf
die weißen Seiten deiner Apfelschalen
bis ich nichts mehr sehe oder
meine Sucht nach Wespenfäulnis
alter Birnen am Boden deines Rucksacks
Zuckerfährten legt aus Angst
um den geschundenen Hals
meiner Kinoexistenz.
Deine verschwenderischen Verse
halten uns den Himmel
unter Wasser und
Kaffee und Zigaretten und
meine Jahre des Aufruhrs
halten eifrig ein bis
unsere Zungen überm roten Gummi
des Notizbuchs hängen
und uns die Schädel an den
Kirschwangen kleben
so glaub mir doch wenn
ich dir schreib wir
wären uns das Testament
der tristen Ohnmacht
die dunklen Schaffner
im Holzabteil des
Nachtzugs vor die Hunde.
Wir wollen
unsere Schriften brennen
die einsame Blüte durchgehen lassen
der Piaf am Straßenrand
Dylan hinter den Schaufenstern
komm schon
laufen jetzt der Maga nach
am Gare de l’est
knüpfen feste Bande mit
den Vorführern der vagen Streifen
in den Kellern des L’Equipe
tanzen mit den Hologrammen
auf der Insel von Morel
verbrennen uns die Haut
an den Schreibmaschinen Hydras
und stürzen einig uns von Dächern
im müden Nebel dieser
Streichholznächte.
Warum nicht hier schon
untergehen in diesen Kammern
mit Fenstern aufs Meer und
dem Staub auf den Regalen der
geschulterten Bibliotheken.
Die letzten Monde
über den Fensterläden
der stummen Cafés
tauchen den Marmor
deiner Bleistifthände
in den Schatten meiner
Schwermut.