Tagebuch, Gedichte Bob Sala Tagebuch, Gedichte Bob Sala

Ein Bewohner von Mlejnas und Tlön

Trank Bier und las in Borges Geschichte der Nacht, „der Schädelknochen, das geheime Herz“, und jetzt, ein paar Stunden später, die roten Tintenflecken wie Blut auf den weißen Bettlaken.

Mehr Rausgerissenes aus meinem Notizbuch, more to come.

20. Januar, Weimar | Briefentwurf für den Newsletter

Seit Tagen der Versuch, ein paar Worte für diesen Brief aus meinem Notizbuch zu kratzen. In meinem Tagebuch nehme ich zu viele Rollen an, fokussiere Tagesgefühle oder kompensiere sie, steige in unterschiedliche Varianten meines Ichs, Kostüme, Masken, die als solche wirken. Sie spannen und meine Augen tränen. Manchmal wie bei Gantenbein, genauso schlecht mindestens. Manchmal fällt mir die grüne Tinte an meinen Hemdsärmeln auf, die Tinte an den Fingerkuppen, die dicken getrockneten Tropfen auf dem Schreibtischholz. Ich habe hier eine Art Geheimschrift begonnen, die niemand entziffern kann, meist nicht mal ich. Beim Notieren fällt es mir nicht auf. Ich überspringe Buchstaben, verziehe drei davon zu einem, tausche sie willkürlich aus. Als ich durch die ersten fünfzig Seiten geblättert habe, die ich seit Dezember hier reinschreibe, um ein paar Absätze für diesen Brief zu finden, musste ich feststellen, dass fast die Hälfte der Seiten kaum lesbar ist. Vor allem die nächtlichen, im Affekt entstandenen Notate, es könnten genausogut Zeichnungen sein. Die Lücken meiner Erinnerung haben sich auf mein ohnehin abartiges Schriftbild übertragen. Die einzig lesbaren Teile dieses Buchs zeichnen zeichnen ein fragwürdiges Bild meines Blickes auf mich selbst. Ich war immer schon ein Zweifelnder, manchmal glücklicherweise nicht sehr versiert. Das Drehen um mich selbst ekelt mich an, selbst wenn ich das mitdenke beim Schreiben und mir trotzdem nicht helfen kann, mein Narzissmus abides. Seit Jahren lasse ich Euch diese Runden um mich herum mittanzen, es ist also wichtig für mich, Adressaten zu haben, sonst taugt mir das alles hier nicht. Immer drücken Sie einem das Ideal ins Gesicht, man müsse doch zu allererst für sich selbst schreiben, doch ohne Zuschauer ist mein Notizbuch ein Massaker. Grüne Attentate auf mich selbst hinter verschlossenen Türen. Also will ich wieder zu meinem alten Rhythmus zurück und alle paar Tage einige Absätze aus diesem Buch für meinen Blog verwerten oder diesen Newsletter. Ich wollte Texte veröffentlichen seit ich ein Kind war, ob gerechtfertig oder nicht, dem habe ich nie Bedeutung beigemessen für lange Zeit, ich hatte den Drang, ein wie auch immer geartetes Publikum zu finden, sei es auch imaginär… (abgebrochen)

21. Januar, Weimar

Rede ständig von Ewigkeit, jeden Gedanken darauf anlegend, doch das Handeln…

Arno Geiger, Das glückliche Geheimnis: „Die Fähigkeit, zu warten, wird über Zeit zu einer Schwäche.“

22. Januar, Weimar | Morgen

Und die Vorhänge weinen im Wind und die Bücherregale stehen müde ihr Holz und sehen wehmütig den Schuhen nach, die ihr Leben jeden Tag neu auftragen.

Nietzsche: „mohnblumige Tugenden“

23. Januar, Weimar

Aus den Notizen Tranströmers: „Ich habe so kärglich an euch geschrieben. Doch was ich nicht schreiben konnte, schwoll und schwoll an wie ein altmodisches Luftschiff und glitt schließlich durch den Nachthimmel davon.“ - ausgehend von diesem Zitat, würde ich gerne einen Brief an Michael Krüger schreiben und ein paar meiner Gedichte beilegen. Ich weiß schon jetzt, dass ich es nicht machen werde.

Gedicht für Frank, „Die Pampelmuse und Ich“, Gedichte, die nur für eine Person bestimmt sind (Padgett), auch: Gedichtreihe mit dem Titel „Warum sie weinten“.

Wider die Kachelschreiber

Nach dem Rhythmus geklopft und ihn nicht gefunden. Lebe seit Tagen bei den Dichtern. Kaum Maske, nur Lügen an die Welt.

23. Januar, Weimar | Abend

Varianten des Bleistiftgedichts ohne Ergebnis. Immer wieder Rückkehr zur ersten Schreibmaschinenversion von vor ein paar Tagen. Ich kann nicht allen ernstes einen wächsernen Himmel stehenlassen, nicht nachdem ich Tranströmers halbfertigen Himmel sah. Wenigstens weniger Angst vor der weißen Seite. Aktueller Stand, vielleicht lasse ich es so:

In der Nacht wacht er auf und fühlt den Schnee

vor den schwarzen Fenstern, folgt dem Silberfisch

am Türrahmen in das blaue Zimmer, eine Verfolgung,

und dort soll er prüfen, prüfen und messen und wägen,

- vertrauen ihm die Bleistifte noch?


In den Vororten schlagen die Wellen an die Kennzeichen

und doch hat es vorläufig erst recht einen neuen Morgen,

die Bleistifte beratschlagen einen Nachmittagsaufstand und es

singt ein wächserner Himmel in ein Streichholz ohne Kopf

- hier endet dein Verstand!


Die halbe Summe der Erinnerung ist Wasserwunde und

er starrt voll der Hoffnung auf seine Lederschuhe und die

dreckigen Rücken der antiquarischen Jahreszeiten wie sie

das Vorrücken des Bleibataillons auf die Bekenntnisse decken

- ist es Landnahme?


Die Vorhänge sind Mäntel im Wind, die Bücherregale

krümmen ihr Holz den Jahren entgegen wie die

Tinte an den Kuppen seiner Hemdsärmel und das

haltlose Dunkel der Wälder seines Aufbruchs sagt

- deine Kirche ist ein Stück Papier!


2. Februar, Weimar

Brinkmann, Westwärts 1+2: „die Preise für das Nirwana sind gestiegen“

In der Nacht wache ich auf und fühle den Schnee vor den schwarzen Fenstern / Ein Silberfisch, der mich verführt / Ein Silberfisch im Türrahmen.

5. Februar, Weimar | Die Nacht auf dem Rücken

Zurück zur Phantastik. Eskapismus eskalieren lassen. Ich bin ein Bewohner von Mlejnas und Tlön. Die Erinnerung an mich wird nur eine Nacht überdauern. Cortazar, Borges. Heute ein Borges-Morgen, mehrere Ideen für den Roman, vor allem Zeittheorien. Meine Varianten der Zeitreise als solipsistischer Narzissmusversuch in Absätzen. Erinnerungsmodelle in der bereisten Vergangenheit. Vorsatzbrief im Stile Borges’ „An Leopoldo Lugones“, an Lothar den Antiquar.

6. Februar

Wiederlesen von Revenge of the Lawn. Das Vertrauen der Bleistifte war auch in Brautigans Tonlage geschrieben und da habe ich es nicht bemerkt, mich sogar abgestoßen gefühlt davon. Ich darf diese leichte Tonlage auch wieder ausfüllen.

6. Februar, später am Abend

Als es dunkel wurde, bin ich durch die Straßen von Weimar gelaufen, bis mir die Finger abfroren. Ich fand einen Platz an der Theke, die Kneipe bis auf den letzten Stuhl gefüllt. Trank Bier und las in Borges Geschichte der Nacht, „der Schädelknochen, das geheime Herz“, und jetzt, ein paar Stunden später, die roten Tintenflecken wie Blut auf den weißen Bettlaken.


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Gedichte, Tagebuch Bob Sala Gedichte, Tagebuch Bob Sala

Bildschirm

Doch es reicht nur für geschundene Zeilen. Bevor sie mich abholen, die küssenden Fährleute in ihren Mänteln. Sie warten. Das Ende einer Erzählung innerhalb eines Traumes von gelbgrünem Blech. Das Unerkannte entspricht mir ja im Grunde. Will jetzt schwimmen. Im Salz. Im Sand. An der Seite eines verstreuten Kapitäns. Die Finger werden taub. Und irgendwie traurig. Exegese der Verse eines Schirmes aus Bildern.

Als es dunkel wird laufe ich durch die Straßen und frier an den Fingern. Unter der Heiterkeit der Planeten und der Jahre die mir ihretwegen nichts verzeihen. Halte mich fest am Saum zwischen den Herden der Vergangenheit und der Feuer. Die mich zurück ins Haus treiben. Tanze mit der Bitterkeit der Fotografien an der Küchenwand. Was soll man sonst bewirken. Außerhalb der Träume von grimmen Männern. Und dem lodernden Gesangsheft zwischen den Brautiganromanen. Erinnerungen poetischer Modelle solipsistischer Zeitreisen. Die Vergangenheit überholt die Skizzen der Erwartung. Und der Boden schwimmt in den labyrinthischen Wassern der Villa Mimosa. Ich bleibe hier. Am Küchentisch. Bis sie mich holen mit ihren Mänteln und der Musik aus den Kellern. Die Tür bleibt verschlossen während ich die Banner der Nacht verschleudere. Und das Fleisch im Spiegel mich zum Erdkern zieht. Dann dein Vers wie ein Tritt auf den Mond durch ein Trommelfell. Der Atem verzögert den Einsatz. Und ich starre in die Augen. Und ich starre in die Fenster. Und ich starre in die Wärme. Der verpassten Vergangenheiten. Mein Urteil ist aus Kupfer und mein Schwur die lichtlose Nacht. Habe den großen Wagen aus Übermut neu getauft. Habe dieses Manuskript den Ratten gewidmet aus Mitleid oder mangelnden Alternativen. Meine Angst ist die Vereidigung der Schatten. Und wieder trittst du in den Saum meines Trommelfels. Bedächtigen Schrittes als wärest du der Mond. Skandierst deine Verse. Lieblich und fatal. Deine Nächte verheißen den Sieg des Zugschreibers. Tilgung des Horizonts. Die kalten Schwerter in den Gärten. Den Spiegel, das Vielleicht des Niemands. Deine Pfeile ein Schiff, das kentern will. Und die trommeln beginnen und der Riss ist Kafkas liebe Wehmut zum Feuer. Die Artefakte sind nachgelassen. Man sieht es an den Gesichtern der Abgewandten. Nach schmutzigen Schlachten beten die Nachbarn die Agonie des Staubes. Und die Verse verstecken sich in den Tüchern. Auf der Leine im Garten meiner Großmutter. Sehe durch sie hindurch. Sehe alles unter Nebel. Sehe Palmen im Rauch. Die Anker am Strand. Den armen Tod. Ein feiges Intervall. Die Titelseiten im Abfall unter Kartoffelschalen. Deine nassen Haare ein Wespennest. Monde, Ziffern, Fiebercollagen wenn - deine Augen den Bildschirm aufspannen über meinen Tränen. Die Kerzen in den Kapellen. Die Krawatte in der Jackentasche. Die blutigen Tintenflecken auf dem Bettlaken. Die verrotzten Socken auf der Autobahn. Die verlegten Platten im Wohnzimmer. Eine Galerie aus Halbrahmen die auf keine Zukunft weisen. Der Magier stempelt aus und hadert mit Bedeutungslosigkeit. Ich wundere mich, ob ich auch ein Engel sein könnte. Doch es reicht nur für geschundene Zeilen. Bevor sie mich abholen, die küssenden Fährleute in ihren Mänteln. Sie warten. Das Ende einer Erzählung innerhalb eines Traumes von gelbgrünem Blech. Das Unerkannte entspricht mir ja im Grunde. Will jetzt schwimmen. Im Salz. Im Sand. An der Seite eines verstreuten Kapitäns. Die Finger werden taub. Und irgendwie traurig. Exegese der Verse eines Schirmes aus Bildern.

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Gedichte Bob Sala Gedichte Bob Sala

Gedicht

Die Vorhänge sind Mäntel im Wind, die Bücherregale krümmen ihr Holz den Jahren entgegen wie die Tinte an den Kuppen seiner Hemdsärmel

In der Nacht wacht er auf und fühlt den Schnee

vor den schwarzen Fenstern, folgt dem Silberfisch

am Türrahmen in das blaue Zimmer, eine Verfolgung,

und dort soll er prüfen, prüfen und messen und wägen,

- vertrauen ihm die Bleistifte noch?

In den Vororten schlagen die Wellen an die Kennzeichen

und doch hat es vorläufig erst recht einen neuen Morgen,

die Bleistifte beratschlagen einen Nachmittagsaufstand und es

singt ein wächserner Himmel in ein Streichholz ohne Kopf

- hier endet dein Verstand!

Die halbe Summe der Erinnerung ist Wasserwunde und

er starrt voll der Hoffnung auf seine Lederschuhe und die

dreckigen Rücken der antiquarischen Jahreszeiten wie sie

das Vorrücken des Bleibataillons auf die Bekenntnisse decken

- ist es Landnahme?

Die Vorhänge sind Mäntel im Wind, die Bücherregale

krümmen ihr Holz den Jahren entgegen wie die

Tinte an den Kuppen seiner Hemdsärmel und das

haltlose Dunkel der Wälder seines Aufbruchs sagt

- deine Kirche ist ein Stück Papier!

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Gedichte Bob Sala Gedichte Bob Sala

Splitter

Du sagtest, du wollest
in meine Iris steigen,
mir den Splitter klauen,
das Blau eimerweise abtragen
und damit das Haus anstreichen
in dem du schreiben willst

Du sagtest, du wollest
in meine Iris steigen,
mir den Splitter klauen,
das Blau eimerweise abtragen
und damit das Haus anstreichen
in dem du schreiben willst

Zapfen für Zapfen
wollest du das blasse
Blau herausbrechen
und mein Azur ernten
Bis mir die Welt grau
durch die Pillen sticht
und wir zu zweit
in den Blaudrucken
ersaufen

Dass du Diebin bist
gefiel mir als Erstes
an dir.

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Gedichte Bob Sala Gedichte Bob Sala

Sehr einfache Träume

Ich träume daß ich auf einer Lichtung warte
Ich träume daß ich Blumen esse wie Baudelaire
Ich träume daß ich durch ein Zuckerfeld wandere
Ich träume von einer Kinoreklame

für Nicanor Parra

Ich träume von einem Fenster

Ich träume daß mein Verstand sich auflöst

Ich träume daß ich ein Buch trockne

Ich träume von Bibliotheken ohne Regale

Ich träume daß ich ein Schaffner mit einem Notizbuch bin

Ich träume daß ich auf einer Lichtung warte

Ich träume daß ich Blumen esse nach Baudelaire

Ich träume daß ich durch ein Zuckerfeld wandere

Ich träume von einer Kinoreklame

Ich träume von einem krebskranken Antiquar

Ich träume daß ich ein Farbband einspanne

Ich träume daß ich meinen Hut wiederfinde

Ich träume daß ich eine Urne trage

Ich träume von den tausend unsichtbaren Zeichen

Ich träume von einem Seil

Ich träume daß ich mit Vögeln tanze

Ich träume daß ich Bande knüpfe

Ich träume von Zweigs Wohnung in New York

Ich träume daß ich ein totes Manuskript mit mir schleppe

Ich träume daß sie mich zum Bleiben verurteilen

Ich träume von Bolaños Atlantismoment

Ich träume daß ich ein Floß bin

Außerdem träume ich daß mir die Träume ausfallen.

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Sieben abgepackte Herzen (schlagend)

verschmolzene Trophäen, auch die stehenden Haare deiner Politik der Wahrheit, geschneidert auf einer Endstufe im Jahr 1987, die Wasseraugen im Wind, niemals wieder, schwörtest du

Der Prozess der abgezählten Trauer, die ach so nassgeweinten Flammen - wider die Folgsamkeit deines abgebundenen Herzens - kannst weder hier, kannst noch dort, die marmorierten Handrücken der Messingdynastien und das Ackerland der weitenverdrehten Erinnerung - kannst weder geben, kannst noch annehmen, was in deiner Weise vertraut bleibt - nicht sterben (Wappenspruch), wächst aufs Meer hinaus, und überhaupt getrocknetes Meer mit faltigen Bänken, süßer Bruder Untergang - verschmolzene Trophäen, auch die stehenden Haare deiner Politik der Wahrheit, geschneidert auf einer Endstufe im Jahr 1987, die Wasseraugen im Wind, niemals wieder, schwörtest du - zur Schleife gebundene Schwanenhälse, Tintenhände massieren Tagebuchrücken an der roten Seite deiner Kammerwände - Blut zieht auf, dicker, warmer Regen aus Kanülen, Adern wie morsche Zweige, darin flüssige Bilder aus Tränenharz - wenn Farben sich trennen, bleibt dein Blick am Himmel oder klatschst du in die Nacht? Führst die Interviews mit halb niedergeschlagenen Augen? Kochst immer noch mit Entsetzen? Zeichnest deinen Schiffsfriedhof mit Drahtseil in die Salzluft? Was bleibt von deinem prachtvollen Ozean? Darfst Sprünge in der Taucherglocke redlich mit Zucker abdichten? Endlich bleibt die Aufstellung: eine halbe Sichel aus Kupfer, ein Turm aus Elfenbein in der Brandung aus Scheiße, sieben abgepackte Herzen (schlagend), ein schwarzer Leinenanzug aus gelbem Kinderhaar, alle Gedichte in der linken Armbeuge, einige in der rechten, den Splitter Richtung Meer, die Zehen in den glatten Kristallen, ein Chor (der nicht erscheint, und wenn - zu spät), getippte Seiten an der Oberfläche, drei geschlossene Bibliotheken in Strandnähe, ein Berg Blumen ohne Blüten, ein Kardiologe (Neruda zitierend) und eine Kette aus einundzwanzig Papiertütenmenschen ohne Gesicht, die dich endlich unter Wasser geleitet. Dicker, warmer Regen über den Hügeln (rot). Got it?

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The Swimming Poem

In Vorbereitung 

weiterer Gedichte

entschwamm der Sommer

unseren Salzaugen

„In Vorbereitung 

weiterer Gedichte

entschwamm der Sommer

unseren Salzaugen

schwappte der Wind

über den abwesenden

Herbst weinte 
uns das Chlor

aus den Äpfeln

am vergifteten Grund 

eines Winters

wurde beschlossen

möndisch betrunken

das Ende der Brandung

kippten Bergwellen

von Zucker in

die Wunden 

verödeten die 

Vergangenheit mit

dem Geschmack

des Regens und
der 
Geburt
des Sommers

in unseren leeren 

offenen Händen.“

Ja.

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Welche farbe hat die wüste nachts?

Die Stufen zur Bühne sind aus altem Holz und erinnern mich an die roten Planken der Pilar, dem kleinen Fischerboot Hemingways auf Kuba, von dem ein Farbfoto über dem Schreibtisch meiner ersten Studentenwohnung hing.

3. April 2022, New York, Morgen

Die letzten drei Monate waren zu großen Teilen ein Untertauchen, eher leises Mitatmen im Schatten. Mein Körper nahm sich einige weiche Wochen. Im vergangenen Jahr gab es Veränderungen. Letztlich Müdigkeit. Manchmal saß ich an einem kleinen Holzschreibtisch in meiner Kölner Wohnung und versuchte meine Anwesenheit zu spüren. Doch oft fühlte ich mich nur den Räumen der Filme und Bücher zugehörig, die meine Bibliothek sind, der Gedankenort, der mir Heimat bedeutet. Mein Leben ist und wird ab sofort nicht mehr an Orte gebunden sein. Einen Großteil meiner Dinge habe ich hergegeben oder eingelagert. Ich binde mich an den Weg.

Kapitelweiten | 29. März 2022, Über dem atlantischen Ozean

Bei manchen Büchern
muss es zur Arbeit
des Lesens gehören
sie kapitelweit durch
die Straßen zu tragen
ihr Gewicht in Worte
schmerzhaft aufzuwiegen
sie sollten dauernd lasten
auf den Schultern sollten
den Unterschied lehren
zwischen Last und Hindernis
man sollte den Weg
der Iris über die Zeilen
in Schritten abwandern
die Absätze begehen und
jede Seite mit eitlem
Sprung verlassen.


29. März 2022, Notate aus “Mörderische Huren” von Roberto Bolaño

Im Flugzeug von Frankfurt zum JFK habe ich fast die komplette Kurzgeschichtensammlung “Mörderische Huren” von Bolaño gelesen. Eine kleine Reise in meine eigene Vergangenheit. Bolaño erzeugt mit wenigen Absätzen immer wieder das gleiche Gefühl bei mir, das ich so an seinen Büchern geliebt habe. Einige Abschnitte habe ich mir herausgeschrieben und eine kleine Auswahl davon will ich hier mit Euch teilen:

— Welche Farbe hat die Wüste nachts?, hatte ich mich vor Tagen im Motel gefragt. Es war eine rhetorische und dumme Frage, in die ich meine Zukunft mit einschloss, oder vielleicht nicht meine Zukunft, sondern meine Fähigkeit, den Schmerz zu ertragen, den ich empfand. (S. 28)

— Eines Morgens beim Frühstück fragte mich die Direktorin nach der Farbe meiner Augen. Sie sind so, weil ich wenig schlafe, sagte ich. (S. 27)

— Dann trat ich ans Fenster. Auf dem Parkplatz des Motels stand noch immer ihr Wagen. Ich öffnete die Tür und ein Windstoß aus der Wüste traf mich voll im Gesicht. Das Auto war leer. Ein Stück weiter weg, an der Straße, sah ich die Direktorin mit ein wenig erhobenen Armen, als spräche sie mit der Luft oder als rezitiere sie oder als wäre sie wieder ein kleines Mädchen, das Statue spielte. (S. 34)

— Er liest die surrealistischen Dichter und versteht kein Wort. Ein friedlicher, einsamer Mann an der Schwelle des Todes. Bilder, Wunden. Das ist alles, was er sieht. Und tatsächlich verlieren sich die Bilder nach und nach wie die untergehende Sonne, und nur die Wunden bleiben übrig. (S. 48)

— Brion Gysin war der Freund von Burroughs, der ihn auf die Idee der Cut-Ups brachte. (S. 78)

— Unausgezogen, einen Roman lesend, als wäre er in der Sprache eines fremden Planeten verfasst, schläft B ein. (S. 90)

— Das Band der Freundschaft entspann sich wie die Pest. (S. 97)

— Die unmögliche Landschaft und der unmögliche Körper. (S. 103)

— Im Rahmen des Möglichen bin ich ein normaler Mensch. (S. 107)

— …ich steuere das Motorrad mit sicherer Hand und drehe das Gas voll auf, die Gran Avenida ist um diese Zeit fast menschenleer, außer den Leuten, die aus dem Stadion kommen, und du hinter mir umfasst meine Taille. Ich spüre deinen Körper am Rücken, der sich anschmiegt wie eine Molluske am Fels, die Luft der Avenida ist um diese Zeit wirklich so kalt und geballt wie die Wellen, die auf die Molluske einstürmen, du schmiegst dich an mich, Max, mit der Selbstverständlichkeit dessen, der ahnt, dass das Meer nicht nur ein feindliches Element ist, sondern ein Zeittunnel, du umschlingst meine Taille wie zuvor das T-Shirt deinen Hals, aber die Conga tanzt jetzt die Luft, die wie ein Sturzbach in das von der Straße gebildete, gestrichelte Rohr einschießt, und du lachst oder sagst etwas, vielleicht hast du unter dem Mantel der Bäume, der die dahinziehenden Passanten beschirmt, irgendwelche Freunde entdeckt, vielleicht beleidigst du nur irgend welche Unbekannten, ach, Max, du sagst nicht tschüss, nicht hallo, nicht bis bald, du rufst Parolen, die älter sind als das Blut, aber sicher nicht älter als der Fels, an den du dich klammerst, glücklich, die Wellen zu spüren, die unterseeischen Strömungen der Nacht, und das sichere Gefühl, nicht von ihnen fortgerissen zu werden. (S. 116)


Blutbühne | 1. April 2022, Morgen

Dieser Tage entfallen mir die Träume schon beim Öffnen der Augen. Einen der wenigen, die geblieben sind, träumte ich gestern in meinem New Yorker Hotelzimmer: endlose Gänge in den Katakomben eines Theaters, rechts und links streifen mich halbgeschminkte Menschen in Unterwäsche oder schweren Stoffen. Alle sind mit sich beschäftigt, ich bin mit allen beschäftigt, sehe mich nur kurz in einem der Glühbirnenspiegel, untersetzt, eine braune Hose, Unterhemd, barfuss. Die schwach beleuchteten Gänge führen abwärts und gabeln sich, kreuzen sich, verlieren sich, enden in verschlossenen grünen Türen, so dass ich oft umkehren und neue Abzweigungen wählen muss. Die Menschen, die mir entgegenkommen, tun dies seltener, je tiefer ich mich in die Theatertunnel verlaufe.

An den Wänden hängen Fotos von alten Aufführungen, doch die Gesichter der Schauspieler wurden mit Bleistift überzeichnet, nur ihre Körper leuchten im Fresnellicht. Mit der Tiefe kommt die Stille und etwas später, leise und drohend, das Murmeln der Menschen im Zuschauerraum. Ich erreiche den Bühnenaufgang. Der Vorhang ist aus blauem Samt und redlich verschlossen. Das Rauschen auf den Rängen verstummt. Ich bin allein. Die Schauspieler, denen ich auf den Gängen begegnet bin, bleiben abwesend. Die Stufen zur Bühne sind aus altem Holz und erinnern mich an die roten Planken der Pilar, dem kleinen Fischerboot Hemingways auf Kuba, von dem ein Farbfoto über dem Schreibtisch meiner ersten Studentenwohnung hing.

Nach einiger Zeit wird mir bewusst, dass ich es bin, den man auf der Bühne erwartet. Ich steige die Holzstufen hinauf und schreite den Samtvorhang entlang, berühre mit der linken Hand den Stoff und halte an einer grünen Markierung, die jemand auf die Bühnenbretter geklebt hat. Ich stehe mit dem Gesicht in Richtung Zuschauer, die vielleicht hinter dem Vorhang warten. Ein Blick nach oben beweist mir, dass das Theater keine Decke hat, der Vorhang scheint bis in den Himmel zu reichen, auch ein Blick nach rechts und nach links offenbart die Endlosigkeit des blauen Stoffes. Alle Erwartung der Dinge hinter dem Vorhang verschwimmt zur Lethargie. Der Vorhang öffnet sich nicht. Ich versuche mit leisen Rufen jemanden hinter der Bühne zum Öffnen des Vorhangs zu gewinnen. Niemand antwortet. Die Zeit verrinnt und das Publikum bleibt stumm. Das Warten dehnt sich aus, breitet sich über meine Nacht aus und der Vorhang bleibt verschlossen. Er öffnet sich nicht. Dann wache ich auf.

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Gedichte Bob Sala Gedichte Bob Sala

Nachtzug vor die Hunde

Deine verschwenderischen Verse 

halten uns den Himmel 
unter Wasser

Eine Entscheidung:
Die warmen Zuckerstangen
die aus deiner Manteltasche tropfen oder
das Pfirsichblut das von deinen Stiefelsohlen
auf das Pflaster spritzt.

Zeigst mir die Kronen der Pflaumen
wie sie bar der Bilder pro Sekunde
übers Glas ziehen oder 
meine Zukunft schreiben auf
die weißen Seiten deiner Apfelschalen
bis ich nichts mehr sehe oder
meine Sucht nach Wespenfäulnis
alter Birnen am Boden deines Rucksacks
Zuckerfährten legt aus Angst
um den geschundenen Hals
meiner Kinoexistenz. 

Deine verschwenderischen Verse
halten uns den Himmel
unter Wasser und
Kaffee und Zigaretten und
meine Jahre des Aufruhrs
halten eifrig ein bis
unsere Zungen überm roten Gummi
des Notizbuchs hängen
und uns die Schädel an den
Kirschwangen kleben
so glaub mir doch wenn
ich dir schreib wir
wären uns das Testament
der tristen Ohnmacht
die dunklen Schaffner
im Holzabteil des
Nachtzugs vor die Hunde.

Wir wollen
unsere Schriften brennen
die einsame Blüte durchgehen lassen
der Piaf am Straßenrand
Dylan hinter den Schaufenstern
komm schon
laufen jetzt der Maga nach
am Gare de l’est
knüpfen feste Bande mit
den Vorführern der vagen Streifen
in den Kellern des L’Equipe
tanzen mit den Hologrammen
auf der Insel von Morel
verbrennen uns die Haut
an den Schreibmaschinen Hydras
und stürzen einig uns von Dächern
im müden Nebel dieser
Streichholznächte.

Warum nicht hier schon
untergehen in diesen Kammern
mit Fenstern aufs Meer und
dem Staub auf den Regalen der
geschulterten Bibliotheken.

Die letzten Monde
über den Fensterläden
der stummen Cafés
tauchen den Marmor
deiner Bleistifthände
in den Schatten meiner
Schwermut.

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Das Theater der Häute

Endlose Nahaufnahme. Ich habe die Welt verlassen, begehe Gedichte. Das Romanhafte ist lachhaft unglaubwürdig.

1. Januar 2022, Abend

Endlose Nahaufnahme. Ich habe die Welt verlassen, begehe Gedichte. Das Romanhafte ist lachhaft unglaubwürdig.

2. Januar, Nachmittag

Ausstellungsbesuch Maria Lassnig im Käthe-Kollwitz-Haus. Eine Ecke mit ausgelegten Texten in kleinen Broschüren. Darin in etwa der Satz oder Aufruf: „Kommt der Veränderung zuvor, die die Zeit mit uns vorhat.“ Der Gedanke an die vergangenen Monate und das Gefühl, Nachhang oder Nachtrag der eigenen Biografie gewesen zu sein.

Am Morgen Besuch der Messe im Dom, die Beuys-Türen und die Bitte an mich, als Mann, doch den Hut abzusetzen. Der Sorrentino-Chor hinter den grauen Pfeilern, nur zu hören, nicht zu sehen. Näherungen an jenes höhere Wesen. Frühstück im Funkhaus. Erinnerung an 2007, als ich die gesammelten Tonaufnahmen von Heinrich Böll habe mitgehen lassen (30 CDs) und seine Stimme über Monate in meinem Wohnzimmer laufen ließ, mein rheinischer Mitbewohner. Seine Texte blieben mir fern, auch das irische Tagebuch, doch seine unbeteiligte, monotone Stimme rettete mich in Zeiten der unerhörten Stille.

2. Januar, Nacht

Zumindest zurück bei diesem Notizbuch, was nicht mehr zu erwarten war. Fülle in den letzten Wochen jeden Tag ein paar Seiten und drücke mich vor der Welt. Für einige Stunden ist das Geräusch meines Bleistifts auf dem Papier wenigstens von ähnlicher Lautstärke wie die Gedanken in meinem Bruchschädel. Manchmal Vorfreude auf den Tag nach der Nacht. Das Ende der Endlosigkeit. Die Nächte gehen ohne Naht über in bauchige Morgen, die sich über den Nachmittag ausgießen. Ich betrinke mich an der Zeit, die nicht zur Verfügung steht und die gerade deshalb so besoffen macht. Morgen werde ich zu diesen Seiten zurückkehren. Die Tinte ist warm.

Das Theater der Häute | 4. Januar, Morgen

Der Rückstand auf die Utopien verringert sich kurzläufig. Die Spitze des linken Schuhs dolcht Schritt um Schritt vorwärts, der Körper seitlich im Wind, gleichsam die nachgezogene Innenseite des rechten Schuhs, die Sichel um Sichel den Abgrund abtastend unterschwingt, entsetzliche Bewegung einer an der Mitte des Rumpfes zerteilten Raupe. Der Taghimmel Nacht und die Gesichter im Kohleflimmern der mondverhangenen Sonne. Alles schwebt.

Ein einzelnes Haar von Dir verfängt sich an der Spitze meines Federhalters und schiebt die Tinte der nassen Sätze wie eine perlschwarze Decke über diese Seite. Dahinter ein Theater, ein Vorhang aus Knochen, eine blutende Bühne und zum Trocknen aufgehangene Nervenenden über einem Holzstuhl. Jemand hat jemanden gehäutet und über die Samtränge verteilt. In der Loge singt eine einsame Mutter die unsichtbaren Kapitel des Paradiso von Lima. Im Grunde bleibe ich weltenlos.

7. Januar, Nacht

Jede Zeile und jeder Absatz eine faule Errungenschaft. Im Moment, da ich das letzte Wort aufs Papier bringe, fühlt es sich gleichsam an, als wolle ich die Seiten nur mit schlechten Argumenten überzeugen, meine Tinte nicht aus Abscheu wieder abtropfen zu lassen.

Splitter | 10. Januar, Abend

Du sagtest, du wollest
in meine Iris steigen,
mir den Splitter klauen,
das Blau eimerweise abtragen
und damit das Haus anstreichen
in dem du schreiben willst

Zapfen für Zapfen
wollest du das blasse
Blau herausbrechen
und mein Azur ernten
Bis mir die Welt grau
durch die Pillen sticht
und wir zu zweit
in den Blaudrucken
ersaufen

Dass du Diebin bist
gefiel mir als Erstes
an dir.

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Ein Roman aus den Pailletten von Josephine Baker

die Gedichte von Octavio Paz in einer Plastiktüte

der weiche Rauch in deinen Flügeln

Träume von Fingerabdrücken

den Blüten verstreuenden Vorführern des Kino Renoir


mittelmeerischer Wind vor den Fenstern des Apolo


die Welle leerer Balkone


Moskitos auf den Typenhebeln


in Mezcal getränkte Handtücher


schwarzes Mandala deiner nassen Haare auf dem Bettlaken 


Mulatu Astatke aus Laptoplautsprechern
 und

die leuchtenden Feuerzeuge der avenida Paral-lel


die blauen Plakate der Bagdad Porno Show


das Manifest der Litfaßsäule


der Trompetenspieler vor dem Teatre Lorca


fiebrige Echsen in Anweiseruniform


die rote Milch der entzündeten Nacht


der Krebs in den Kneipen


die Gedichte von Octavio Paz in einer Plastiktüte


der weiche Rauch in deinen Flügeln


Träume von Fingerabdrücken


den Blüten verstreuenden Vorführern des Kino Renoir


ein phantasierender Junge auf dem Rücksitz


dann fast das Ende der Nacht


die Dämmerung im Haus des Dichters


ein vergessener Zettel in der Manteltasche


das letzte Bild


der regennasse Teppich in der Lobby


das Zimmer am Ende des Flurs


der Schirmtanz der Anti-Avantgarde


die Coda im Wandschrank


ein Roman aus den Pailletten von Josephine Baker

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Gedichte Bob Sala Gedichte Bob Sala

Dezembermorgen

Bleib ich nackt
und entscheide mich verborgen
Mit weichem Herzen

jetzt, für den Dezembermorgen

Die heiß leuchtenden Fenster 

der Immernochwachen
in der Dämmerung der Nebeldächer 
Die Kruste meiner Tintenhaut 

auf alten Sommerselbsttränen
und wieder Augen 
derer, 
die wir nachts beweinen 
 

Die versetzten Stiche 

in die leuchtenden Narben
geteilter Erinnerung 

Meine Schritte verfehlen den Asphalt 


Befreiende Worte, 
vergebens 
verweht im Nebelatem
Dezembernachtsrufe 

reichen nicht 
an mein entblößtes Hirn 

Bin nicht irgendwer für irgendwen 
Was ich will?
Ich will den Mond aufgehen sehen

Bin Fluß 
Bin Floß 
zugleich 

Bin nicht

Will nicht
sein 

Erweiche nur Profile 

Kehlenloser Abgesang 
am Wegewendepunkt

Barde der Vergangenheit 

Eingereiht in Geisterchöre
und die Verbeugung 
auf sich warten lassend


Lass mich zurückfallen

Trete nicht hervor

Wenn hundert Wehungen 
aus Walnussvenen 
hirnen
schwebe ich vor, schwebe zurück

Links das Meer, rechts das Glück 

Südstaccato und Schulterblick

und Salzsturm an den Schläfen

Der ellenlange Rückweglose

vor der Gabelungen Adermeer 
Die Segel strandungsfest
Bleib ich nackt
und entscheide mich verborgen
Mit weichem Herzen 

jetzt, für den Dezembermorgen

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Mondbrand

ein Portrait ohne Augen
vorgeschobenes Ende
abgezählte Türklinken
aufgewärmtes Papier
das Polaroid eines Schattens

ein Portrait ohne Augen
vorgeschobenes Ende
abgezählte Türklinken
aufgewärmtes Papier
das Polaroid eines Schattens
ein gelber Füllfederhalter
Platten mit parallelen Rillen
durchgeriebene Bettlaken
abgebrochene Kontakte
die Bibliothek mit nur einem Gang
angestoßene Erinnerung
barfuss straucheln
ein naheliegender Sommer
eine Durchfahrt
Tritte in Pedale
flüstern im Freien
hawaiianischer Dosenkaffee
Holzspähne unter der Haut
Häuserfluchten
Atem auf grünem Glas
abgebrochene Sternenzelte

sie schnipst ein Weinglas an mit ihrem Fingernagel und hält es mir ans Ohr und der Ton verendet in der Dunkelheit / ob man auch Mondbrand bekommen kann?

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Gedichte Bob Sala Gedichte Bob Sala

Holt die Netze Stardust Kids

Wir werfen Blätter ins Wasser
eisern tauchend im Schaum
zwischen Coladosen und Motoröl
ersäufen wir unseren Traum

Unter wegloser Blauküstennacht
Füße und Felsen im Schaumriff
Augen im Norden
die Küstenstadt
der Hafen, die atmenden Lichter
kein Sommerlied mehr 
Herbstgesang, Laternenwehen
Mastbruch und Abspann.

Wir werfen Blätter ins Wasser
eisern tauchend im Schaum
zwischen Coladosen und Motoröl
ersäufen wir unseren Traum

Ein Junge ruft vom Strand
Schreie, kindlich und müde
fallen stumm ins Meer vor mir
den Rest inhalieren die Sterne
niemand hört uns noch singen
mit salzigen Zungen
von der geliehenen Zeit
aus meerfeuchten Lungen
ewige Wellen weit.

Und wir werfen die Blätter ins Wasser
eisern ertrinkend im Schaum
zwischen Coladosen und Motoröl
ersäuften wir unseren Traum

Fragment, Landau in der Pfalz, September 2019

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Gedichte Bob Sala Gedichte Bob Sala

Morro dos Cabritos

und man sieht den Regen
in den Laternenkegeln der
Rua Joaquim Nabuco und riecht 
das Meer edel überschlagend im Rücken 
und in der Ferne die Lichter 
dieser Nacht

Die Wilden, die sie nicht
sehen wollen, sperrt man
in Rio auf den Berg
ich weiß das 
denn von meinem Balkon 
habe ich direkte Sicht und
das eiskalte Bier lässt die feuchte Luft 
zu Tropfen auf der Dose 
in meiner Hand tauen 
und Frederico spielt im
Nebenzimmer den nächsten 
Caetano Veloso Schlager
aus der Zeit als man noch
nicht gemäßigt war
1967 oder 1968 oder 1969
und man sieht den Regen 
in den Laternenkegeln der
Rua Joaquim Nabuco und riecht 
das Meer edel überschlagend im Rücken 
und in der Ferne die Lichter 
dieser Nacht, Nacht
die sich den Berg 
hochwindet und hier und da
vor Unmut flackert

Sie haben sie dort 
eingezäunt die Wilden 
und bewachen die einzige 
Verbindungsstraße zwischen
Elend und Musik runter nach
Copacabana und Ipanema
und hundert braune Soldaten
warten im Gewitter und
putzen ihre Panzer und
Hunter Thompson saß genau 
hier auf dem Balkon
vor fünfzig Jahren und 
schaute landeinwärts auf dieselbe Favela 
als Caetano noch ein Rebell
und der Rum billiger als Bier war

Vor Jahren gab es einen Stromausfall
in Brasilien und die Laternen 
an der Copacabana gingen aus 
und die Musik in den Bars 
von Ipanema verstummte 
und der ganze Küstenstreifen 
versank in der Nacht 
und ich stelle mir vor
wie sie dort oben 
wie glücklose Gatsbys
vor ihren Bretterbuden standen 
als die grünen Kneipenlichter 
des Bossa Nova 
an und wieder aus und wieder an
und dann endgültig ausflackerten
und wie sie sich plötzlich 
sicher waren dass es noch
etwas anderes geben würde
und sich auf ihre Mopeds warfen
und der gesamte Berg runter
in die Stadt stürzte wie eine
Lawine der Vergeltung und wie
das Gesetz des Stärkeren herrschte 
nur für diese eine Nacht. 

Ich stelle mir vor 
ich sei einer von ihnen 
gewesen und die Reichen 
in ihren weißen Häusern 
weinten und ich nahm es ihnen
nicht übel und sie nahmen es 
mir nicht übel
Und die Weichheit wich 
aus ihrer Sprache und
sie versteckten sich am
Meeresboden und hofften 
ein letztes Mal
auf die braunen Schwarzhelme
denen sie ihr Leben abkauften
für das Kleingeld am Boden 
ihrer Leinentaschen und 
sie hatten Glück 
denn ihr Reichtum 
ist nicht weltlich
sondern geschichtlich. 

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Gedichte Bob Sala Gedichte Bob Sala

Der letzte Leser von Christoph Derschau

ausnahmslos jedem zug nachgesehen will
nur den nachtzug gerade so betreten und
selbst das ohne gewähr sie haben
hier am gleis die laternen
gelöscht und die fahrpläne

ausnahmslos jedem zug nachgesehen will

nur den nachtzug gerade so betreten und

selbst das ohne gewähr sie haben

hier am gleis die laternen

gelöscht und die fahrpläne

abgehangen nur der cola-automat

strahlt im schummerlicht

bleib trotzdem hier erwarte 

meinen turn nur kein windzug

ganz leicht um die knie die

gefaltete zeitung des vortags 

vom fußrücken über über das 

kaugummipflaster gestrichen

grüne rose im gleißbett dreh

dich nochmal um und fühl die

letzten tropfen licht vom automaten

grüne rose letzte hymne vor dem morgen

der letzte zug am letzten steig 

ein blick die letzte täuschung dieses 

automatenlichts dieses gleises 

dieser gedichte aus dem schatten

steig ein lass ausbruchsicher das

paradies vergehen und gleite

in der perlennacht der weichen 

kann noch immer keine rose 

besprechen bin doch nur

dein letzter leser

christoph derschau.

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Gedichte Bob Sala Gedichte Bob Sala

Fetzen

Tropfen punkten Fenster blind
wild tanzen leere Stunden 
ich bleib zurück als Narbe
dieser schäumend schönen Wunden

Die Fetzen hängend aufgeleint
sind Worte nur im Wind noch eins
Wut schwimmt starr auf Böen heim
und Nacht bricht übers Knie herein

Tropfen punkten Fenster blind
wild tanzen leere Stunden 
ich bleib zurück als Narbe
dieser schäumend schönen Wunden

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Gedichte Bob Sala Gedichte Bob Sala

Pflaumenbaum

Die Bleistiftkästen in der Werkstatt meines Großvaters. 

Jede meiner Wohnungen, in der jetzt jemand anderes lebt. 

Die Holzstühle in meiner alten Schule. 

Der leere Waldweg, wenn ich nicht darauf laufe. 

Die Nadel meines Plattenspielers, die sich die ganze Nacht im toten Wachs dreht, nachdem ich zu Concierto de Aranjuez auf dem Sofa einschlafe. 

Die Nachttischlampe, die ich vergesse auszuschalten, bevor ich das Haus verlasse. 

Der Karton mit den handgetippten Erstfassungen.

Der Band mit Gedichten von Brautigan im Lichtkegel meiner Abwesenheit.

Der ausgewaschene Strafzettel, der seit Wochen hinter meiner Windschutzscheibe klemmt. 

Die Smith-Corona Galaxie, die in ihrem Koffer auf dem Dachboden steht. 

Die Flasche Pastis, die ich im Hotelzimmer in Istanbul stehen lasse. 

Die Tagebuchseiten, die ich seit zehn Jahren nicht wiedergelesen habe. 

Das Kinoticket in der Tasche des Mantels, den ich seit Jahren zum Schneider bringen will. 

Die Big Star Platte, die Hinter dem Regal festklemmt. 

Der Ast des Pflaumenbaums, auf den mein Onkel mich in meiner Kindheit jeden Abend hievt und der jetzt Morsch im Wind wippt. 

Die Bleistiftkästen in der Werkstatt meines Großvaters. 

Jede meiner Wohnungen, in der jetzt jemand anderes lebt. 

Die Holzstühle in meiner alten Schule. 

Der leere Waldweg, wenn ich nicht darauf laufe. 

Die Felskante der Klippe in Cassis, am Plage de Bestouan, und das Haus am anderen Ufer, mit dem Balkon auf das Meer hinaus. 

Das Café am Bosporus, in dem jetzt jemand anderes schreibt. 

Der kleine Pausenraum der Buchhandlung, in dem ich mich vor den Kunden verstecke und Borges lese. 

Der Schuppen, in dem ich zum ersten Mal geküsst werde. 

Der Karton mit Wollresten im Schlafzimmer meiner Großmutter. 

Der botanische Garten, in dem sie sich mit meinem Großvater fotografieren lässt. 

Die Triumph auf der sie dann nach Hause fahren. 

Die seifigen Blätter unter meinen Fahrradreifen. 

Das offene Notizbuch in meinem Schoß. 

Gulliver auf der verregneten Fensterbank. 

Der Rücksitz des orangenen Ford Capri meines Vaters. 

Die kühle Luft, die das Ohr unter dem Stetson streift. 

Das Schwarz-Weiß Kino der romanischen Fakultät. 

Weißweinküsse in der Caféteria.

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